Buch Kritik: „Die subtile Kunst des darauf Scheißens“

Ein Selbstoptimierungsbuch gegen Selbstoptimierung
Schonmal Bücher gelesen wie „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest.“ oder Youtube-Videos mit Titeln wie „So schaffst du jedes Projekt“ angeschaut? Mark Mansons „Die subtile Kunst des darauf Scheißens“ ist so ziemlich der Gegenansatz dazu.
Dieses Buch versucht weder dein Ego aufzubauen noch gibt es sich große Mühe dich aufzuheitern. Mit Kapiteln wie „Versuchs erst gar nicht“, „Glücklich sein ist ein Problem“ oder „Du bist nicht besonders“ klingt es eher als würden einem beim Lesen Suizidgedanken durch den Kopf schießen – was überhaupt nicht der Fall ist. „Die subtile Kunst des darauf Scheißens“ ist widersprüchlich auf vielen Ebenen.
Es möchte, dass du dich gut fühlst, indem du zugibst, dass es dir nicht gut geht. Es möchte, dass du ein besserer Mensch wirst und stellt dabei klar, dass du nie der Beste sein wirst. Es möchte dir beibringen auf Dinge zu scheißen und gleichzeitig zu sortieren, worauf es wert ist nicht zu scheißen.
Ziemlich guter Inhalt
Marks Buch enthält eine Ansammlung von Erkenntnissen verschiedenster Philosophen, Psychologen und Denkern aus unterschiedlichsten Epochen der Menschheitsgeschichte. Von Buddha über Sigmund Freud oder William James: Er fasst die Gedanken von großen, beeinflussenden Denkern der Menschheit in knapp 200 Seiten zusammen. Er schafft das alles neben Geschichten aus seinem persönlichen Leben, humoristischen Einlagen und rundet das Ganze auch noch mit modernen Pop-Kultur-Anspielungen ab. Auf den Punkt gebracht: Es ist wirklich ein gutes Buch – aber ist es ein Buch für dich?
Für wen ist dieses Buch
Findest du dich ständig unter Druck, dass du nicht genug erreichst. Schaust du schon nicht mehr gerne in den Spiegel, weil du nicht Wellenreiten auf den Bahamas bist neben deinen getreuen Reisepartner auf einem Surfbrett. Wenn du konstant versuchst dein gesamtes Umfeld glücklich zu machen, dich selbst aber leer und unglücklich fühlst. Falls du Probleme hast, über deine letzte Beziehung hinwegzukommen und deine Ex-Partner für deinen emotionalen Zustand verantwortlich machst. Wenn du eine „meine Probleme sind ganz speziell und mir kann eh niemand helfen“-Einstellung hast und es dich auffrisst, wenn das produktivste das du am Wochenende gemacht hast Netflix und ausgehen gewesen ist und du dich dafür verurteilst. Dann ist dieses Buch für dich!
Tatsächlich würde ich dieses Buch jeden empfehlen, aber, falls du dich mit deiner momentanen Situation glücklich fühlst und da im Leben stehst, wo du hinwolltest, kannst du dieses Buch auch überspringen – solltest du eventuell auch, da es beinahe unmöglich ist beim Lesen nicht seine eigenen Werte, Entscheidungen und Prioritäten infrage zu stellen. Wenn du glücklich bist mit deiner Lebenssituation, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass du dich bereits auf das konzentrierst, was für dich wirklich wichtig ist.
Ein Buch, das anregt, Prioritäten zu überdenken
Was erwartest du vom Leben oder wo siehst du dich optimalerweise in ein paar Jahren?
Ich rate mal ins Blaue: ein fantastischer Job, eine intakte Familie und super Freunde. Du möchtest gesund und fit sein, dich nebenbei mit erfüllenden, kreativen Hobbys auseinandersetzen und regelmäßig verreisen. Ich entschuldige mich für diese kleinbürgerlichen Annahmen.
Marks Antwort darauf wäre:
„Jeder will das. Es ist einfach das zu wollen. Die spannendere Frage ist, die Frage die sich die wenigsten Menschen stellen, „Welchen Schmerz bist du bereit zu ertragen? Wofür bist du bereit zu leiden?““
Im Endeffekt impliziert diese Denkweise, dass anstelle von Tagträumen man sich selbst die Frage stellen sollte: ob man bereit ist das Risiko und die Mühen auf sich zu nehmen, um diesen Traumjob, der auch noch gut bezahlt genug ist, um regelmäßig in den Urlaub zu fahren, zu finden und das alles während man an einer Beziehung arbeitest (Was ja schon schwierig genug sein kann…) aber damit nicht genug; gleichzeitig deine Kinder liebst und erziehst und genug Zeit für Sport und kreative Hobbys unterbringst?
„Die Wahrheit ist, ich dachte ich wollte etwas, aber es stellte sich heraus: Ich wollte es gar nicht. Ende der Geschichte. Ich wollte die Belohnung, aber nicht die Mühe. Ich wollte das Ergebnis, aber nicht den Prozess. Ich war verliebt in die Vorstellung des Gewinnens, war aber nicht bereit dafür zu kämpfen.“
Dieses ganze Beispiel beschreibt einen wichtigen Ansatz des Buches. Wie ich bereits erwähnte, suggeriert der Titel des Buchs, dass du auf alles scheißen solltest, aber das ist überhaupt nicht der Fall. Es geht vielmehr darum, auf die Sachen zu scheißen, für die du nicht bereit bist Mühen aufzubringen – oder es im Stil des Buches zu formulieren: Die Dinge zu finden, für die du bereit bist dir den Arsch aufzureißen! Denn wenn du dir unrealistische Ziele aussuchst, für die du eh nicht den Atem hast sie durchzuziehen, wirst du dich im Endeffekt wie ein Versager auf ganzer Linie fühlen. Insofern, ist das Setzen der richtigen Ziele, der Ziele, für die du bereit bist du kämpfen, nicht nur wichtig, sondern auch erfüllend!
„Menschen, die Überstunden und die Machtspielchen auf der Führungsetage genießen, sind die, die am Ende ganz oben ankommen. Menschen, die den Stress und die Unsicherheiten eines hungernden Künstlers genießen, sind am Ende diejenigen, die den Durchbruch schaffen.“
Mark vermutet, dass Glück nicht von der Abwesenheit von Problemen kommt, sondern von Lösen von Problemen. Dementsprechend ist die Wahl der Probleme, der man sich stellt, entscheidend. Eine schlechte Wahl wäre zum Beispiel „ich bin zu klein um jemand anflirten“, oder „meine Familie wertschätzt mich nicht genug“. Wenn dir diese Art von Problemen bekannt vor kommt, solltest du dir überlegen auf sie zu scheißen, denn du wirst eine sehr schwere Zeit haben sie zu lösen.
Durchschnittlich sein entspannt
Ein Hauptaugenmerk des Buches ist das reflektieren über das eigene Wertesystem. Es geht darum zu analysieren, wie uns Annahmen, die wir über uns entwickelt haben, beeinflussen. Und daraus folgend, wie wir uns selbst als erfolgreich oder versagend bewerten. Mark spricht in diesem Zusammenhang von unserem eigenen Maßstab aus Regeln und Werten. Seine Meinung nach gibt es gesunde aber auch ungesunde Werte:
„Gute Werte sind 1) realitätsnah, 2) sozial konstruktiv und 3) direkt und Einflussbar.
Schlechte Werte sind 1) realitätsfern, 2) sozial schädlich und 3) weder direkt noch beeinflussbar.“
Um nochmal zurückzukommen zu den vorigen Beispielen von Problemen, wie „ich bin zu klein um jemand anzuflirten“ oder „meine Familie wertschätzt mich nicht genug“ – betrachtet man diese im Kontext des Buchs, entstammen solche Probleme aus der Wahl schlechter Werte und Maßstäbe. Falls du dich bei diesen Zeilen nur ein wenig angesprochen fühlst, lege ich dir sehr ans Herz zumindest die Kapitel hierzu zu lesen.
Passend möchte Mark Manson dir mit seinem Buch vor allem eines vermitteln: Du bist nichts Besonderes.
„Die wenigen Menschen, die wirklich herausragend in einem Gebiet werden, tun das nicht, weil sie denken, sie sind was ganz Besonderes. Ganz im Gegenteil, sie werden besonders gut in einem Gebiet, weil sie besessen davon sind sich zu verbessern. Und diese Besessenheit von Verbesserung entstammt dem unumstößlichen Glauben, dass sie tatsächlich ganz und gar nicht herausragend sind.“
Akzeptieren, dass du tatsächlich nichts Besonderes bist, ist ein ganz schöner Brocken. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die konstante Bombardierung von Individualismus und Erlebniskultur zum Alltag gehört. Die meisten Menschen, die in so einer Kultur aufwachsen nehmen, an, dass die Jugend ausleben, etwas mit jedem Wochenende Party machen, verschiedene Hobbys ausprobieren, viel Sex zu haben und Drogen auszuprobieren zu tun hat, während man dazwischen eine Selbstentdeckungsreise auf einen fremden Kontinent macht, und falls sie das nicht erlebt haben, dann haben sie etwas falsch gemacht.
„Das Internet ist nicht nur ein grenzenloser Pool an frei zugänglichen Informationen, es ist auch eine Quelle von grenzenloser Unsicherheit, Selbstzweifel und Scham.“
Insofern kann das Anerkennen der eigenen Durchschnittlichkeit befreiend und sogar erfrischend sein. Dieses Buch begleitet dich durch diesen Prozess. Ebenso wie es möchte, dass du deine Probleme, dein Leiden und die Narben, die das Leben hinterlassen hat zu wertschätzen lernst.
Die tiefere Lektion
Die erste Hälfte des Buchs dreht sich um das untersuchen der eigenen Wertestrukturen, begleitet von gelegentlichen Schmunzeln. Je nachdem wie reflektiert du bist und wie tief du dich bereits in diese Thematiken eingearbeitet hast, kann diese erste Hälfte auch ziemlich erschreckend sein – dieses Buch ist sicherlich keine Kindergartenrutsche mit einem Ende auf einen weichen Teppich. Es ist eine lange, intensive Nacht, voller Real-Talk mit einem engen Freund, verstörend, konfliktreich und voller unerwarteter Konfrontationen – gefolgt von einem Kater, der dich deine Lebensentscheidungen in Frage stellen lässt.
Die zweite Hälfte des Buchs setzt sich zum Glück das Ziel dich wieder auf die Bahn zu bringen. Mit verschiedenen Theorien von Philosophen und Psychologen oder sogar religiösen Figuren (meistens wird an den Buddhismus angelehnt) werden verschiedenen Mentalitäten und Ansätze vorgestellt. Die Themen reichen von Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit, Reflexion über unsere Gesellschaft, zu lernen „nein“ zu sagen, der Anerkennung für sich selbst verantwortlich zu sein und sich an den kleinen Dingen zu erfreuen. Aber genug zu den Inhalten. ich habe sowieso schon viel zu viel verraten. Kommen wir zum Fazit.
Solltest du auf dieses Buch scheißen oder nicht
„Komm runter, Amigo. Glaub es oder nicht, aber das ist genau das Schöne am Mensch sein. Nur wenige Tiere auf diesem Planeten sind überhaupt in der Lage kognitive Gedanken zu haben, aber wir Menschen haben den Luxus über die Gedanken, die wir haben nachdenken zu können. So kann ich mir vorstellen Miley Cyrus Videos auf YouTube zu schauen, während ich mir direkt im Anschluss Gedanken drüber machen kann, was für ein Perversling ich bin, dass ich mir Videos von Miley Cyrus auf YouTube anschauen möchte. Ah ja, das Wunder des Bewusstseins! Jetzt aber zum Problem an der Sache: […]“
Ich liebe dieses Buch – es ist direkt, ehrlich und reflektiert, schafft es dabei einen guten Humor aufrechtzuerhalten und sich nicht zu ernst zu nehmen. Es hat bei mir einige Denkprozesse angestoßen und mir geholfen meine eigene Wertung von Erfolg und Misserfolg infrage zu stellen und für mich persönlich muss ich zugeben, es hat mich motiviert einige Sachen anzugehen – Sachen die wirklich angegangen werden mussten!
Aber wie gesagt, wenn man neu mit den Theorien und Verhaltensweisen, die Mark Manson in seinem Buch „Die subtile Kunst des darauf Scheißens“ ist, können die knapp 200 Seiten ein ganz schön harter Spaziergang sein – dafür ein dankbarer, an den man sich gerne zurückerinnert.
Ich würde übrigens empfehlen, das Buch in seiner Originalsprache zu lesen, leider funktionieren viele Wortspiele und Formulierungen im Deutschen nicht so gut, wie im Englischen.
Wie immer bin ich gespannt über eure Gedanken, Meinung und Feedback zu dem Thema. Fühlt euch eingeladen mich infrage zu stellen oder zu korrigieren, falls ihr der Meinung seit ich habe etwas übersehen oder vergessen. Danke fürs Lesen und habt einen schönen Tag.