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Wie Film meine Perspektive als Portraitfotograf verändert hat

Ich weiß ich hab erst Anfang des Jahres über die analoge Fotografie geschrieben aber da bin ich noch nicht über Ihre Bedeutung für mich als Portraitfotograf eingegangen. Grund dafür, ich war schlicht noch etwas vorsichtig analog Portraits zu schießen, weil… schlicht erheblich schwieriger ist:

  • Man hat nur 36 Aufnahmen pro Film (bei Mittelformat sogar nur 10-16)
  • Es ist nicht möglich zu sehen, ob ein Bild etwas geworden ist, bis der Film entwickelt ist
  • Serienaufnahmen, um bspw. ein Wimpernschlag oder ähnliches zu verhindern geht nicht
  • Bis der Film fertig und entwickelt ist kann es Wochen dauern
  • Falls man selbst scannt oder gar entwickelt ist jeder Film mit einem Arbeitsaufwand verbunden
  • Scannt man nicht selbst, hat man kaum Einfluss in die Bearbeitung/Weißabgleich der Bilder
  • Man muss sich im Vorhinein überlegen, wie die Bilder aussehen sollen, denn ein Film und seine Optik bleiben in der Kamera bis er fertig geschossen ist

Um nur ein paar der “Nachteile” vom analogen Handwerk in der Portraitfotografie aufzuzählen. Nachteile in Anführungszeichen, weil es meiner Meinung nach eher ein Blessing in disguise ist. Paradoxerweise kommt es mir so vor, dass Einschränkungen unsere Kreativität mehr fordern und fördern als es grenzenlose Freiheit tut.

Das ist besonders wahr, wenn man wie ich als Portraitfotograf arbeitet und mit seiner digitalen Ausrüstung bereits eine Routine entwickelt hat, aus welcher man nur noch schwer ausbrechen kann.

Entstanden während eines Portfolio-Shootings mit Paulina aka Groobar in München: Porta 800.

Weniger Bilder ist mehr, auch als Portraitfotograf -IN

Natürlich wirkt die Beschränkung auf 36 Bilder pro Film erstmal etwas eng und ungemühtlich. Eine Einschränkung, die ich als Portraitfotograf mit Digitalkameras gar nicht kannte und deswegen so ziemlich alles an Motiven mitgenommen habe. Zum Teil mach ich das natürlich bei Auftragsshootings immer noch, damit ich meinen KundInnen eine möglichst große Auswahl bieten kann und Maße ist zwar nicht immer Klasse aber sicherer ist es allemal. Bei analog hingegen überlege ich mir fünfmal, ob ein Motiv ein Foto wert ist.

Seitdem ich anfangen habe analog zu fotografieren mache ich viel weniger Bilder. Ich stehe vor Kompositionen, schaue mir das Licht an, die Elemente im Vorder- und Hintergrund, werfe einen Blick durch den Sucher und… lass es dann doch bleiben, weil es ein Foto für mich nicht wert ist (kostet ja auch mindestens 50 Cent pro Bild). Wenn ich einen Film fertig habe, kann ich mich noch an die meisten Motive erinnern und weiß genau, was mich an dem Bild fasziniert hat.

Tiefere Connection zu jeden einzelnem Bild

Gerade diese Verbindung mit jedem Bild zu haben, anstatt einfach locker aus der Hüfte ein paar hundert Dateien auf ein Speichermedium zu ballern, wird natürlich noch viel, viel persönlicher, wenn man als PortraitfotografIn arbeitet und einen Menschen vor der Kamera steht. Aber reichen denn dann die 36 Bilder?

Portrait von Carolyn geschossen auf den Cinestill 50d Tageslichtfilm, ein merkwürdiger Film der unfassbar lichthungrig ist aber darüber wann anders mehr.

Kurze Antwort ja, dadurch das jede Aufnahme durchdacht ist kommen sowieso erheblich weniger Aufnahmen zu Stande. Eigentlich habe ich am Ende eines Shootings selten einen Film komplett belichtet und bekomme ihn erst ein zwei Wochen später voll. Digital geht das übrigens in die ganz andere Richtung, da sind es dann ein paar hundert Dateien, bei welchen über die Hälfte aussortiert wird.

Der Look ist festgelegt, bevor du das Foto überhaupt geschossen hast

Von außen betrachtet denkt man gar nicht daran aber es spielt eine entscheidende Rolle (pun intended), welchen Film man für ein Portraitshooting mitbringt. Es gibt kontrastreiche, flache, schwarz/weiße und sogar Filme für unterschiedliche Tageszeiten.

In der Praxis heißt das, dass man selten mit denselben Film an einem kompletten Tag durchgehend fotografieren kann, denn ein Film den man bei Tageslicht benutzt, wird zur Dämmerung nur schwer funktionieren und umgekehrt wird ein Film für Nacht und Tungstenlicht schlechte Ergebnisse bei Tageslicht abliefern.

Ein Arbeitsprozess auf dem Kopf gestellt

Und das stellt den Arbeitsprozess im Vergleich zum Digitalen komplett auf den Kopf. Während ich als Portraitfotograf mit einer digitalen Kamera komplett entspannt darauf losschießen kann und mir im Nachhinein alle Freiheiten in der Nachbearbeitung nehmen kann: Muss ich mir beim analogen Fotografieren überlegen welche Lichtverhältnisse herrschen werden, welchen Farblook ich haben möchte oder ob ich gar ganz auf Farben verzichten will.

Das schränkt natürlich ein. Zum Beispiel hatte ich für beinahe für einen kompletten Monat einen Film sehr helles Tageslicht in meiner Kamera und habe ihn einfach nicht voll bekommen, weil ich nicht dazu kam bei praller Mittagssonne raus zu gehen oder die Tage schlicht zu trüb waren. Für ein Portraitshooting bedeutet das, dass die Wahl des Films vorher gut geplant werden muss. Das macht den Prozess natürlich im Vergleich zur digitalen Fotografie nicht leichter aber erheblich interessanter, spannender und… nerdiger.

Klar ist das Bild abslolut unterbelichtet aber ich finde es mega spannend von den Farben, der Stimmung und ganz besonders der Lightleaks an der Seite. Ein digitales Foto hätte man unter diesen Bedingungen vergessen können.

Hier liegt auch ein wenig Charm vergraben, denn verschiedene Filme auszuprobieren, unter- und überzubelichten oder schlicht experimentell Doppel zu fotografieren macht nicht nur Spaß und befriedigt den Sammeltrieb (in meinem Kühlschrank sind inzwischen mindesten neun Filme gehortet), sondern ist auch schrecklich schön kreativ.

Im Frühjahr musste ich zum Beispiel bei einem Portraitshooting einen Tageslichtfilm bei Dämmerung unbedingt noch fertig schießen, damit ich auf einen lichtstärkeren Film umsteigen konnte. Raus kamen wirklich interessante Portraits mit unterbelichteten Film, die mich direkt umgehauen haben: Ein richtig schöner Unfall eben.

Man betrachtet seine Arbeit häufiger, gründlicher und bedachter

35 mm Negative haben neben den spannenderen Farben und Retrolook vor allem eines und das ist erheblich weniger Details als Ihre elektronischen Nachfolger. Das heißt, dass man sich beim Umstieg auf Film den Luxus sich die Bilder im Nachhinein zuschneiden zu können abschminken kann.

Genau deswegen betrachtet man einzelne Aufnahmen, wenn man sie denn dann endlich in der Hand hat, erheblich länger und kritischer – überlegt sich, welche Elemente man nicht ins Bild hätte nehmen sollen oder warum eine Komposition nicht funktioniert hat. Allgemein kann man über Komposition übrigens in diesem Blogeintrag noch ein zwei Dinge dazu lernen.

Ich habe mir bei meinen Arbeiten als ditigaler Portraitfotograf angewöhnt viele Bilder von einer Szene zu machen und mich dabei zu bewegen, um unterschiedliche Perspektiven sowie Ausschnitte im Kasten zu haben. Wirklich Gedanken darüber warum ich das so mache oder welche Bildausschnitte ich beim nächsten Shooting vielleicht von vornherein lasse, weil sie mir nicht gut gefallen, habe ich praktisch selten oder gar nicht gemacht. Musste ich auch nicht. Schließlich lässt sich ein Bild in der Postproduktion ohne großen Qualitätsverlust zuschneiden und Speicherplatz auf der Karte gibts en masse.

Was ich als Portraitfotograf von der analogen Fotografie mitnehmen konnte, welche Lektionen das sind und für wen es auch etwas sein könnte.
Im Bild das Model Vera in München, trotz Porta 400, 1/125 Sekunde und 2.0 Blende leider unterbelichtet. Sonst gefällt mir das Foto mega gut, bittere aber wichtige Lektion.

Hier entsteht bei analoger Portraitfotografie ein intensiverer Lerneffekt. Ich bin nun seit gut einem Jahr dabei, meine schlechten Angewohnheiten aus dem Digitalen langsam eine nach der anderen Filmrolle fein säuberlich vorgeführt zu bekommen. Denn in der analogen Fotografie tut es weh, wenn man ein Drittel des Bildes wegschneiden muss.

Mehr als nur schwierigeres Digital Fotografieren

Ein Bild mit falschen Fokus, auf einen 120er Film mit 12 Aufnahmen bleibt noch lange in Erinnerung.
Ein Drittel des Bildes wegzuschneiden, weil die Komposition nicht gestimmt hat, tut sehr weh.
Ein Portrait mit den wunderschönen Farben der Abendsonne auf einen Porta 400, das leider viele Details aufgrund von Unterbelichtung verloren hat, brennt sich in mein Handwerk als Portraitfotograf ein, weil es wirklich ärgert. Bzw. es motiviert auch seine eigenen Fähigkeiten weiter zu schärfen.

Beim digitalen Fotografieren fällt man leicht in dieselben Routinen, desselben Pins/Inspirationen von denen man weiß, dass sie funktionieren werden. Analoge Filmfotografie ist eben mehr als ein schwierigeres digital portraitieren. Es ist ein Umdenken/ eine Methode um die fest angewöhnten Schemas der eigenen Fotografie zu hinterfragen und das Handwerk weiterzuentwickeln. Aber sollte jetzt deswegen jeder PortraitfotografIn anfangen analog zu fotografieren? Bitte nicht.

Analog alleine macht niemand zu einem besseren Portraitfotograf -IN

Zum einen “Bitte nicht“, weil analoge Kameras sowieso schon teuer genug sind aber nicht mehr nachproduziert werden. Zum anderen glaube ich keinesfalls, dass das Rezept von “analog Portraits schießen macht einem besseren Portraitfotograf -In” immer aufgeht. Zwar ist das Thema meiner Meinung nach relevant für available light oder StreetfotografInnen, aber für KollegInnen die im Studio arbeiten oder gar Veranstaltungen, Sportevents oder Hochzeiten fotografieren eher nicht.

Portrait des Künstlers Schwarz in Berlin auf einen Porta 400 Film geschossen.

Ebenso hängt viel von der Person hinter dem Objektiv ab. Ich kenne FotografInnen die lieben es wild darauf loszuknipsen, die die breiten Bearbeitungsmöglichkeiten eines digitalen Negatives nie missen möchten und deren Herz aufgeht, wenn sie den neusten Autofokus und den größten Megapixelsensoren kaufen können.

Für solche FotografInnen ist eine analoge Kamera wahrscheinlich eher pure Folter und Frust, weil die Bilder garantiert nicht so funktionieren wie geplant und das Warten auf die Entwicklung überhaupt nicht zur Mentalität passt. Am schlimmsten wären aber solche FotografInnen für die Kameras und Objektive Statussymbole darstellen (Grüße an die Urban-Ninjas und Leica Spiegelselfie FotografInnen): Es werden keine neuen analog Kameras mehr hergestellt und es wäre sehr schade, wenn diese charmanten, mechanischen Apparate als Dekoobjekte für Ikea Wandregale oder ausschließlich als Probs für Modelle verenden.

Analog fotografieren muss man genießen können

Wenn ein Shooting mehr eine Abfolge von Handgriffen, als eine Herausforderung geworden ist. Oder, wenn das Fotografieren in der Freizeit immer weniger und weniger Freude bereitet, weil man gefühlt alles schon auf Social Media gesehen oder ähnliches eingefangen hat.

Und schlicht dann, wenn man sich näher an die Wurzeln des Mediums tasten möchte. Dann sollte man sich eine analoge Kameras kaufen, dann kann man bei dieser Art von Fotografie nur gewinnen, solang man die Geduld hat etwas bereits gelerntes ganz neu zu entdecken.

Ich denke eine tiefe Begeisterung und Faszination mit dem Medium der Fotografie und Neugier für die alte Schule ist auch von großem Vorteil, wenn man analog portraitieren möchte. Und vor allem, wenn man mal Lust hat einfach richtig schöne Kameras zu benutzen, die schick aussehen und großartig klingen… Aber nicht unbedingt im Wert weiter steigen müssen, mehr dazu hier.

In dem Sinne hier eine Weiterverlinkung zu meinem Angebot als Portraitfotograf Coach auch in der analogen Fotografie. Schamlose Werbung, ich weiß.

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Stilvolle Erotik shootings Einblicke von einer Kooperation zwischen dem Fotografen Daniel Schubert und dem Model Silvy Sirius in München.

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