Mittagssonne als Portraitfotograf
Das “schwierigste” Licht: Direktes, hartes Sonnenlicht für Portraits
Ich halte das hier so simpel wie nur möglich und werde auch nicht auf die Vorteile von Reflektoren oder Diffusoren eingehen. Bei diesen Beispielen habe ich als Fotograf nichts außer unserer Kamera und Objektiven. Trotzdem wird dieser Abschnitt (ich plane eine Reihe zu dem Thema) wahrscheinlich am umfangreichsten werden, weil für mich das harte Sonnenlicht das schwierigste und missverstandenste Licht als Portraitfotograf gewesen ist.
Unter direktem harten Sonnenlicht verstehe ich die Mittagssonne an einem wolkenlosen Tag: den Albtraum für viele available light FotografInnen. Ein Profi Fotograf wie Brandon Woelfel geht dieser Tageszeit komplett aus dem Weg und fotografieren bevorzugt nur zur goldenen oder blauen Stunde (dazu in einem anderen Blogeintrag mehr).
Auch ich bin als Portraitfotograf der Mittagssonne aus dem Weg gegangen, bis ich Videos von Fotografen wie Peter McKinnon entdeckt hatte. In seinen Video geht der amerikantische Produkt- und Portraitfotograf auf Vorteile von direktem, harten Sonnenlicht ein. Seitdem gehe ich zur Mittagssonne sehr viel aufmerksamer durch München und halte Ausschau nach atmosphärischen Schatten. Aber warum hatte ich denn überhaupt so eine Abneigung gegen dieses Licht?
Das Problem mit direkten Sonnenlicht und Portraits
Zuerst Mal ist direktes Sonnenlicht sehr, sehr hell. Was heißt ohne einen ND-Filter (eine Sonnenbrille für das Objektiv) kann man einen schönen Bokeh (eine Tiefenunschärfe, wie man sie aus der klassischen Portraitfotografie kennt) vergessen. Selbst bei einer Verschlusszeit von 1/4000 Sekunde bekommt man das Objektiv nicht weit genug auf, um eine ordentliche Tiefenunschärfe hinzubekommen. Bei meinen Arbeiten als Portraitfotograf liebe ich Tiefenunschärfe und damit bin ich nicht alleine. Abhilfe schafft entweder nur ein ND-Filter oder analoges Fotografieren mit einem Film mit ISO-Wert unter 100.
Erschwerend hinzu kommt, dass direktes Sonnenlicht gar nicht mal so gut das Gesicht ausleuchtet. Jeder der an einem warmen Sommertag auf den Bürgersteig spazieren war und sich gedacht hat, “ich mach mal ein hübsches Selfie mit der Mittagssonne im Gesicht“, der hat damit wahrscheinlich seinem Ego einen Tiefschlag versetzt: Komplett kalt ausgeleuchtetes Licht, bei dem man jede Hautunreinheit sieht und der Gesichtsausdruck, der zugekniffene Blick und hervorgehobenen Augenringe helfen dabei auch nicht wirklich.
Der Umstand, dass die direkte Mittagssonne dem Gesicht mal gar keine Gefallen tut, man ohne ND-Filter den Bokeh und damit ein anständiges Hervorheben des Motives vergessen kann und sie dazu noch relativ wenig Atmosphäre/Dramatik (wie es ein roter Sonnenuntergang oder ein goldener Morgen zu bieten hat) liefert, ist sie für die meisten available light FotografInnen im Portraitbereich Grund genug, available light Portrait Shootings an klaren Sommertagen zwischen 10 und 17 Uhr komplett zu vermeiden. Was man als Portrait FotografInn nicht alles verpasst durch diese Einschränkung…
Von anderen Genres im Umgang mit harten Licht lernen
Was die direkte, wolkenlose Mittagssonne aber zu bieten hat, wie kein anderes Licht es kann, sind Kontraste mit harten Schatten und blendenden Licht. Es gibt eine Spezies von FotografInnen, die sich darüber besonders freuen.
Architektur und StreetfotografInnen lieben es mit harten Schatten zu arbeiten. Die einzigartige, klare Linienführung, die hervorgehobenen Linien von imposanten Gebäuden durch Schatten oder durchbrechen von Sonnenlicht durch Glas sind fantastisch für die Architekturfotografie. Ebenso schätzen StreetfotografInnen die klaren Schatten und direkten Lichteinfall zur Isolation von Mensch in der Großstadt und als Werkzeug um malerische Silhouetten festzuhalten.
Der chinesische Fotograf Fan Ho hat diese Art von Streetfotografie in Schwarz/Weiß im letzten Jahrhundert zur Perfektion gebracht und ist heute noch einer der einflussreichsten Fotografen des gesamten Genres.
Warum in der Wohnung aufhören?
Portrait und available light Fotografen wie ich es bin, VloggerInnen und Influencer haben bereits gelernt, dass man genau diesen harten Kontrast zwischen Licht und Schatten der Mittagssonne hervorragend in einem Gebäude, Zimmer oder Dachboden in Kombination mit einem Fenster bändigen kann. Aber warum dort aufhören?
Auch in der “freien Wildbahn” lassen sich harte Schatten von Gebäuden, Bäumen oder U-Bahneingängen nutzen, um stimmungsvolle Portraits zu schießen. Als FotografIn ist dabei, nach meiner Erfahrung inspiriert von Street- und Architekturfotografie, vor allem wichtig:
- Ein weitwinkel Objektiv zu benutzen, denn es hilft dabei möglichst viel von den stimmungsvollen Schatten und Kontrasten einzufangen
- Bei einer weiten Komposition harte Schatten im Gesicht des Motives zu vermeiden, bei einer engen Komposition hingegen gezielt einsetzen
- Sich zu bewegen, denn häufig sieht das Portrait aus einem anderen Winkel großartig aus, welches aus dem falschen Winkel das Gesicht ungünstig ausleuchtet (wie wäre es zum Beispiel damit, die Sonne als Rimlight zu benutzen)
- Unbedingt in RAW zu fotografieren, denn bei den harten Kontrasten bekommt man in der Postproduktion im Jpeg-Format sonst nichts mehr raus
- Und offensichtlich: sich nach interessanten Licht/Schatten Kompositionen umzuschauen
Von der Erfahrung anderer Portrait FotografInnen profitieren
Und als letzter Tipp: Ich bin als Portraitfotograf auch nur ein Sandkorn in der Wüste. Schaut euch an, was andere FotografInnen über das Thema zu sagen haben. Youtube ist für 90 % meiner Fragen zur Fotografie mein Go-to. Deswegen möchte ich euch zum Abschluss dieses Segmentes noch drei großartige Videos vorstellen, die sich mit fotografieren, im direkten Sonnenlicht befassen.
Niemals! Denn auch ich habe von diesen Videos viel mitnehmen können und ich möchte, dass ihr nicht nur direkt seht aus welcher Hand diese Tipps kommen, sondern vielleicht auch den ein oder anderen neuen, spannenden Kanal für euch mitnehmen könnt.
Das erste Video ist von der Fotografin Jessica Kobeissi und befasst sich unter anderem damit, wie unterzubelichten hilft die entstehenden überbelichteten Highlights im Gesicht zu verhindern, womit man seinem Model helfen kann nicht blind zu werden und warum man im direkten Sonnenlicht stets gebügelte Klamotten tragen sollte.
Das zweite Video ist das bereits vorher erwähnte Video von dem Fotograf Peter MCKinnon, was mich motiviert hat im direkten Sonnenlicht zu Portraits auszuprobieren.
Ferner und nicht direkt aus der Portraitfotografie aber für mich das wichtigste der drei Videos ist dieses über Chiaroscuro von dem englischen Portrait und Street Fotograf Jamie Windsor. In diesen kurzen fast schon philosophischen Video geht es darum, warum starke Licht/Schatten Kontraste als Stilmittel fantastisch sind und eben genau diese gibt es… naaa (Trommelwirbel) -türlich besonders zur Mittagszeit.
Das war jetzt viel Theorie aber ich hoffe, dass ich zum Thema etwas Licht (höhö) ins Dunkel bringen konnte.
Wenn ich euer Interesse wecken konnte und ihr euch direkt bei mir im direkten Sonnenlicht portraitieren lassen möchtet: Hier könnt ihr nachlesen, wie ein Shooting bei mir so abläuft.
An die reinen Studio-KollegInnen
Die Idee schwirrt mir schon relativ lange im Kopf herum so einen Eintrag zu schreiben, tatsächlich habe ich ihn aus einem entscheidenden Grund bisher vermieden: Ich bin kein Fotograf aus dem Studio. Klar, ich hab mir mal ein billiges Studio-Set gekauft, voller Enthusiasmus Videos über das Butterfly und Rembrandt Lightning studiert und meine armen Freunde genötigt auf meinen Barhockern zu posieren.
(Zukunfts Daniel hier, inzwischen bin ich auch erfahrener im Studio, über meine Erfahrungen und die Freude einer guten Assistenz, gibt es hier mehr.)
Und ja, da kamen auch schöne Portraits heraus und klar, könnte ich manierliche (schönes Wort) Ergebnisse in einem Studio liefern. Trotzdem, habe ich ehrlich gesagt nur an der Oberfläche der Studiofotografie gekratzt, beherrsche nur die Basics und wenn es um den kontrolltiertesten Einsatz von Licht geht, da wird eben am meisten im Studio geforscht und ausprobiert.
Kein Objektivvergleich bitte, wir können alle noch lernen
Vielleicht ist es deswegen, dass sich Halbamateure und seltener auch Profis aus der Studiofotografie, meiner Erfahrung (als Portraitfotograf der öfters in Facebook-Gruppen unterwegs ist) bereitwillig über available light FotografInnen stellen (während sie vom Stativ-Olymp herunterblicken und mit Farbblitzen feuern).
Deswegen möchte ich auf eine Sache fix eingehen, denn auch mir sind FotografInnen im Arbeitsalltag begegnet, die zu mir meinten, dass man ohne Studioerfahrung und als reiner available light Lichtbildschaffender – kein vollständiger Fotograf sei.
Nach nun zwei intensiven Jahren Auseinandersetzung mit der Fotografie und dutzenden Portrait Shootings kann ich guten Gewissens sagen, dass das Schwachsinn ist. Genauso wie es Schwachsinn ist, einem kubistischen Maler zu unterstellen, er verstünde nichts von seinem Handwerk, weil er nicht den Jugendstil beherrscht oder einem Musiker zu reduzieren, weil er es nicht gelernt hat Noten zu lesen. Gutes Feedback ist eben nicht immer so einfach zu finden.
Wenn ich als Portraitfotograf mit available light arbeite, dann hab ich keine Studioblitze und kann das Gesicht nicht immer nach den einstudierten Regeln, die historische Maler schon vor hunderten von Jahren festgelegt haben, kontrolliert ausleuchten. Auch planungstechnisch bin ich auf Improvisation angewiesen, denn jeder Tag hat ein anderes Licht, ein anderes Wetter und nicht mal auf die Erdumrundung der Sonne kann man sich zu 100 % verlassen. Außerdem:
Für großartige Fotografie braucht man nicht zwingend Erfahrung im Fotostudio
Natürlich ist es sinnvoll, für mich als available light Fotograf zumindest die Theorie des Studios zu verstehen, einmal einen Menschen mitten im Sprung mit einem Blitz-Setup eingefroren zu haben oder ein markantes S/W-Portrait auf simplen Hintergrund und einem dramatischen Schatten auf dem Gesicht geschossen zu haben (es macht ja auch Spaß):
Ein Muss ist es aber nicht. Und jeder der dir versucht etwas anderes zu erzählen, den mach auf FotografInnen wie Nan Goldin, Sebastiao Salgado, André Josselin oder Tatiana Mertsalova aufmerksam (bei letzteren beiden würde ich sogar vermuten, dass sie nicht mal ihre Filme selbst entwickeln, solche Amateure!).
Wir Deutschen versuchen immer so gerne zu kategorisieren und Dinge mit Formeln zu simplizieren (Studioblitz + Rimlight + 85mm Obejektiv mit Blende f1.2 + Schwarzer Hintergrund = Perfektes Portrait) aber in der Fotografie bewegen wir im Reich der Kunst und Gefühle: Und Emotionen lassen sich bis dato (Freud dreht sich im Grab herum) nun mal nicht berechnen.
Lieber ein Alleinstellungsmerkmal als Alleskönner
Abschließend möchte ich auch mal einwerfen, dass dieses generalisierte Denken in der Fotografie vll. veraltet ist. Damit meine ich, dass die Fotografie inzwischen sehr viel freier zugänglich ist, als sie es noch vor 30 Jahren war (obviously). Ehemaliges studiertes Wissen lässt sich mit moderner und vor allem günstiger Technik und frei verfügbaren Tutorials bereits von Anfängern in der Portraitfotografie ansehnlich kopieren. Zum Beispiel, wie man schärfere Bilder produzieren kann.
Vielleicht ist man deswegen als FotografIn besser beraten, sich auf eine Nische zu konzentrieren, in der die Amateure und Hobbyisten nicht so leicht kommen, als das komplette Handwerk ohne wirklichen Tiefgang zu beherrschen. Aber no offense, sind meine Gedanken und ich bin nur ein kleiner available light Fotograf aus München, der dabei ist sein Kleingewerbe auszubauen und die Branchenkönige haben dazu bestimmt wieder ganz andere Ansichten.
Lange rede kurzer Sinn: Ja auch ich, obwohl ich nur ein available light Fotograf bin, man einen Guide zum Licht schreiben und außerdem auch einen Guide, wie man seine Liebsten in der Portraitfotografie anleiten kann.